Servus, Bosporus! Reporter reisen an den Bosporus 2013-09-13T19:20:44Z http://reporterreisen.com/servus-bosporus/feed/atom/ WordPress Stephanie de la Barra <![CDATA[„Auch wenn sie mich mit Gewalt herausholen…“]]> http://auf3th.de/servus-bosporus/?p=1685 2013-07-30T12:08:23Z 2013-07-15T20:07:13Z In Istanbul boomt das Wohnbaugeschäft mit Monsterprojekten. Stadtviertel werden niedergerissen und neu aufgebaut. Entwurzelte Menschen bleiben zurück. „Tuzla Logistic City“ nennt sich eines dieser Großprojekte am Rande Istanbuls – geplant von deutschen Architekten.

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Bald werden hier keine Kühe mehr grasen.
Foto: Jenny Becker
Ahmed Kahveci

„Ich war Kohlearbeiter. 25 Jahre habe ich in Zonguldak unter der Erde gearbeitet, bevor ich 1992 hierher gezogen bin und mir ein neues Leben aufgebaut habe. Vor ein paar Wochen kamen Männer von TOKI auf mein Grundstück und in mein Haus. Sie haben alles fotografiert und mir gesagt, dass ich bald verschwinden muss. Aber haben sie mich gefragt?“
Foto: Jenny Becker
Fatma Inan

„Vier Monate bin ich jeden Tag zu Fuß nach Orhanlɪ gegangen. Vor 20 Jahren gab es keine Busse, hier waren nur Maisfelder. Mein Mann hat alles auf seinem Rücken hierher getragen, während die Kinder in der Schule waren. Wir haben alles selbst aufgebaut, mit unserer eigenen Kraft. Wir können nicht weg. Ich habe zu Hause einen kranken Bruder. Wohin soll ich mit ihm hingehen?“
Foto: Jenny Becker
Burhan Yıldırım

„Ich wohne in dem Abschnitt der zuallererst abgerissen werden soll. Wenn das offizielle Schreiben der Regierung kommt, dass wir weg müssen, erst dann können wir klagen. Wir halten alle zusammen. Auch ich werde zum Protest gehen!“
Foto: Jenny Becker
Muteber Aksoy

„TOKI ist wie Israel – es schmeißt die Leute aus dem eigenen Land raus. Sie haben uns ein Bankkonto eingerichtet und einfach das Geld überwiesen. Aber wir rühren das nicht an. Die Türkei kümmert sich um Syrien, wenn es Hilfe braucht, aber um ihre eigenen Bürger kümmert sie sich nicht.“
Foto: Jenny Becker
Sadık Durmuş

„Hier lebt die Arbeiterklasse, niemand würde sein Grundstück aufgeben. Es sind Leute von TOKI mit dem Anwalt gekommen und haben mich gefragt wieso wir ein Haus und einen Garten hier haben. Sie stellen uns hin, als hätten wir unerlaubt ohne Grundstückspapiere gebaut. Aber das stimmt nicht, ich verkaufe nicht. Das ist keine Gerechtigkeit.“
Foto: Jenny Becker

Ahmed Kahveci holt weit aus, seine Hand deutet über die Ebene, als wollte er die Silhouetten der Betonhäuser mit seinen Fingerspitzen nachzeichnen. Zweistöckige Klötze, mintgrün oder zartrosa gestrichen, manche grau belassen. Davor auf der Wiese ein paar Kühe. „Das kommt alles weg“, sagt er. „Alles.“

Ahmed Kahveci vor seinem Haus (Foto:Jenny Becker)

An der Stelle des kleinen Ortes, in dem Ahmed seit 21 Jahren wohnt, soll die Tuzla Logistic City enstehen. Eine Logistikstadt für Warentransfer, auf zwei Millionen Quadratmeter Gesamtfläche. Am Rande Istanbuls, drei Stunden vom Stadtzentrum entfernt. Rohmaterial aus aller Welt soll hier eingeflogen, verarbeitet und exportiert werden. Per Flugzeug, Bahn oder Schiff. Nur elf Kilometer sind es bis zum Marmarameer, Bahngleise gibt es bereits, eine Autobahnanbindung ist geplant. Eine komplette Stadt ausgerichtet auf Transportoptimierung, geplant vom Architekturbüro asp im zweitausend Kilometer entfernten Stuttgart. Ein weltweit agierendes Büro, das Großprojekte in Beijing, Dubai, Köln entwirft. Auch in Istanbul.

Der Entwurf zeigt, dass die „City“ durch und durch funktional sein wird. Der Containerpark symmetrisch angeordnet, wie ein Außenring um die Stadt. Büro- und Wohnräume im Zentrum, mit breiter Flaniermeile, dazwischen immer wieder Bäume, die wie überdimensionale grüne Stecknadelköpfe aus der Betonlandschaft ragen. Für 10.000 Bewohner ist die Stadt konzipiert, gibt das türkische Partnerbüro der Stuttgarter Architekten an.

Trotz der massiven Bebauung, sollen natürliche Ressourcen genutzt, statt zerstört werden. Wälder und Wasserläufe, um die „Artenvielfalt zu erhalten“, heißt es in der Informationsbroschüre. Dort ist auch eine Karte mit einem ersten Entwurf abgebildet, der zeigt wie alles einmal aussehen soll: Grundrisse der geplanten Bauten sind über einer nur schemenhaft erkennbaren Landschaft gedruckt. Sieht man genauer hin, entdeckt man Kästchen und Straßenzüge. Den Ort Orhanlɪ.

Der Flughafen rückt näher (Foto: Jenny Becker)

Ahmed Kahveci kennt die Pläne. „Vor ein paar Wochen sind sie sogar zu mir nach Hause gekommen.“ Anwälte und Ingenieure von TOKI, dem staatlichen Bauunternehmen. „Sie haben alles fotografiert, mich nach der Größe meines Grundstücks gefragt und gesagt, dass ich hier raus muss.“ 480.000 türkische Lira haben sie ihm für sein Wohnhaus mit sieben Wohnungen und zwei Läden geboten. Das sind umgerechnet ungefähr 200.000 Euro. „Von dem Geld kann ich mir woanders allenfalls drei Wohnungen kaufen.“ Er steht still vor seinem grauen Haus, tiefe Stirnfalten, weißer Bart, nach innen gerichtete Augen. Ein alter Mann, den das Leben noch einmal auf die Probe stellt. Aber Ahmed Kahveci ist nicht allein. Fünftausend Bewohner sind betroffen, sagt er. Fünfzehn Familien haben verkauft. „Ich verkaufe nicht, auch wenn sie mich mit Gewalt herausholen.“ Und das werden sie.

Wenn Ahmed Kahveci das sagt, spricht er für viele Arbeiter, Fischer und Handwerker. An jeder Ecke in Istanbul wird gebaut, Altes niedergerissen, Neues hochgezogen. Rasend schnell wächst die Millionenstadt, die in einer Erdbebenzone liegt. Seit dem großen Erdbeben 1999 hat ein Bauboom eingesetzt. Für das Wirtschaftswachstum war das gut, vor allem in den vergangenen zehn Jahren. Noch immer liegt das Wachstum bei 1,4 Prozent. Doch die neuen modernen Häuser sind teuer. Zu teuer für die ehemaligen Mieter. Sie wandern in Randbezirke ab, wo die Mieten billiger sind.

Ahmed Kahveci weiß das. Aber so schnell gibt er nicht auf. „Ich bin einer der Ältesten im Ort, die Menschen hören auf mich. Wir werden uns wehren.“

Diese Recherche entstand wenige Wochen vor Beginn der Proteste in Istanbul. Der Bauboom hat die Türkei wirtschaftlich vorgetrieben und unabhängig, aber auch viele Menschen heimatlos, gemacht. Die Gezi-Park Proteste stehen symbolhaft für eine Entwicklung, die in ganz Istanbul zu beobachten ist.

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Karl Grünberg <![CDATA[Ein Bratscher sucht das Abenteuer]]> http://auf3th.de/servus-bosporus/?p=1053 2013-07-31T13:44:14Z 2013-07-15T16:31:59Z Wer in Istanbul überleben will, muss taff sein. Das ist das Motto des deutschen Musikers Ulrich Mertin, der von Berlin-Neukölln an den Bosporus gezogen ist. Die Begegnung mit einem Bratscher, der die klassische Musik gegen elektronische Experimente und den Konzertsaal gegen Clubs eingetauscht hat.

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Musik, Chaos, Istanbul

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Annika Kiehn <![CDATA[Die fahrenden Schildkröten vom Bosporus]]> http://auf3th.de/servus-bosporus/?p=1414 2013-07-31T13:46:34Z 2013-07-15T16:10:44Z VW–Käfer sind nicht nur Autos, sondern fahrende Kultobjekte. Diese Einstellung vertritt auch der Volkswagen-Automobil Club Kaplumbağa in Istanbul. Seit 2001 zelebrieren seine Mitglieder ein Stück deutsches Lebensgefühl am Bosporus. Wir trafen sie und sprachen mit ihnen über Autos – und Liebe.

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In der Türkei heißt der VW-Käfer kaplumbağa – Schildkröte.

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Friederike Mayer und Barbara Bachmann <![CDATA[„Dönermorde passt doch!“]]> http://auf3th.de/servus-bosporus/?p=1395 2013-07-31T13:49:16Z 2013-07-15T16:04:04Z Vor wenigen Wochen noch war „Sabah“ im Ausland ein wenig bekanntes Blatt. Dann wagte es die türkische Tageszeitung, das deutsche Justizsystem herauszufordern. Zu Besuch in der Istanbuler Zentrale.

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Schlagzeile in eigener Sache: „NSU-Prozess wegen Sabah-Klage verschoben“

Dienstag, 16. April 2013, 7. Stock eines Hochhauses in Beşiktaş, einem der vornehmeren Stadtteile Istanbuls. Aplarslan Akkus, Leiter des Auslandsressorts der Tageszeitung „Sabah“, sitzt an seinem Schreibtisch in der hinteren Ecke eines Großraumbüros. Junge, gut gekleidete Menschen arbeiten dicht an dicht, Volontäre neben erfahrenen Redakteuren, keine der Frauen trägt Kopftuch. Gutgelaunt zeigt Akkus auf die Schlagzeile des Tages: „NSU-Prozess verschoben.“

„Sabah“ bedeutet auf Türkisch „morgen“. Morgen hätte in München auch der Prozess gegen Beate Zschäpe und weitere Angeklagte beginnen sollen. Ohne Medien aus der Türkei und Griechenland – den beiden Ländern, aus denen neun der zehn NSU-Opfer stammen. „Eine Schande“ sagt Akkus. „Sabah“ klagte dagegen beim Bundesverfassungsgericht und gewann. Zusammen mit fünf weiteren türkischen Medien ist die Tageszeitung nun beim Prozess vertreten.

„Sabah“, die von Ressortleiter Akkus als „liberales Massenblatt“ beschrieben wird, gehört zu einem der größten Verlagshäuser der Türkei, der Turkuvaz Media Group. Unter seinem Dach versammeln sich vier TV-Kanäle, sechs Magazine, fünf Tageszeitungen und diverse Websites. Das Einstiegsgehalt eines Redakteurs beträgt umgerechnet 900 Euro – auch für Istanbul nicht gerade viel. Journalismus muss man sich leisten können in der Türkei. „Wir sind Kinder aus reichem Hause“, sagt Akkus über sich und seine Kollegen. Der reichste Mann im Haus ist ohne Zweifel Ahmet Çalık, 55. Kaum eine Branche, in die der Verleger nicht investiert: Neben dem Mediensektor hat er auch in der Energie-, Bau- und Textilindustrie seine Hände im Spiel. Ihm wird eine besondere Nähe zur regierenden AKP nachgesagt, ein Schwiegersohn Erdoğans ist Geschäftsführer seines Konzerns. „Sabah“ gilt als regierungsnahe Zeitung.

Die Klage ist Beweis für das neue Selbstbewusstsein der Türkei

350.000 Leser zählt sie in der Türkei, 5000 sind es im restlichen Europa. In Deutschland arbeiten rund 50 freie Mitarbeiter für die Auslandsausgabe, die Redaktion sitzt in Frankfurt. Von dort aus wurde auch die Klage beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht – zuvor entschieden in Absprache mit der Zentrale in Istanbul. Wer an diesem Tag mit Akkus spricht, dem wird schnell bewusst: Die Aktion im Alleingang hat sich ausgezahlt für „Sabah“. „Über die Klage berichtet haben wir erst, als wir gewonnen haben.“

Dass eine türkische Zeitung es wagt, die Entscheidung deutscher Behörden zu kritisieren, ist auch Ausdruck eines neues Selbstbewusstseins der Türkei. „Vor zehn Jahren wäre das nicht möglich gewesen“, meint Akkus. „Die Türkei ist heute ein anderes Land. Wenn wir uns angegriffen fühlen, dann wehren wir uns.“ Und angegriffen fühlte sich bei der Posse um die Platzvergabe die Türkei höchstpersönlich – anders als bei der NSU-Mordserie. So waren die NSU-Morde in der Türkei kein „Seite 1“- Thema – das Gerangel um die Plätze im Gericht dagegen schon.

Für Akkus ist klar: „In diesem Fall müssen wir Türken die Informationen aus erster Hand erfahren“, auch wenn man es deutschen Medien hoch anrechne, dass diese ihre Plätze im Gericht angeboten hätten. „Die Verbrechen richteten sich gegen die deutschtürkische Bevölkerung.“ Nicht selten wird auf diese Gruppe von der Türkei aus herablassend geblickt. Für viele bleibt sie die ungebildete, „buckelige Verwandtschaft“ aus Anatolien. So hat auch Akkus mit dem Begriff „Dönermorde“, der in Deutschland jahrelang als Synonym für die Mordserie verwendet und 2011 zum Unwort des Jahres gewählt wurde, kein Problem – im Gegenteil. „Wir haben die Bezeichnung von unseren deutschen Kollegen übernommen.“ Auf türkisch heißt das Dönerci cinayetleri. „Passt doch“, findet Akkus – schließlich, so glaubt er, haben die meisten Türken in Deutschland „mit dem Döner-Ding zu tun“.

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Jenny Becker <![CDATA[Kiezleben auf Türkisch]]> http://auf3th.de/servus-bosporus/?p=1085 2013-07-21T09:01:20Z 2013-07-15T16:01:37Z Früher war Cornelia Reinauer die Bürgermeisterin des Berliner Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg. Seit einigen Jahren lebt sie in Istanbul.

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Ex-Bürgermeisterin Cornelia Reinauer auf ihrem Balkon im Szeneviertel Beyoğlu (Foto: Jenny Becker)

Ex-Bürgermeisterin Cornelia Reinauer auf ihrem Balkon im Szeneviertel Beyoğlu
Foto: Jenny Becker

Wenn Cornelia Reinauer ihre Wohnung verlässt, schrumpft Istanbul zusammen. Die 13 Millionen Metropole wirkt plötzlich sehr klein. „Cornelia!“, ruft es von einem Cafétisch aus einer Gasse herüber. Motorräder und streunende Katzen huschen vorbei. Eine Dame mit roter Mähne sitzt vor einem Glas Schwarztee und winkt. Es ist eine türkische Galeristin, eine Freundin. Cornelia Reinauer wechselt ein paar Worte auf Türkisch, ja, sie wird am Abend zur Ausstellungseröffnung kommen. Ein gehauchter Wangenkuss, dann geht es weiter durch Beyoğlu, das Zentrum auf der europäischen Seite des Bosporus. Hier lebt Cornelia Reinauer seit sechs Jahren, hier ist Istanbul keine Großstadt, sondern einfach ihr Kiez.

Reinauer (links) beantwortet den Studenten der Mimar Sinan Universität Fragen zu Berlin (Foto: Jenny Becker)

Ihr anderer Kiez liegt 2000 Kilometer entfernt. Vier Jahre lang war Cornelia Reinauer Bürgermeisterin des Berliner Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg. Jenem Stadtteil, der als größte türkische Enklave außerhalb der Türkei gilt. 2006 verlor sie die Wiederwahl für die Linke – und zog nach Istanbul. „Ich bin bewusst gegangen. Ich lebe ja in Kreuzberg und hätte die Entscheidungen des neuen Bürgermeisters ständig bewertet.“ Ein befreundetes Ehepaar wanderte gerade aus und sagte: Komm doch mit! Die Entscheidung fiel leicht. Sie war 54, ungebunden, hatte plötzlich Freizeit und eine Pension als vorzeitig verrentete Landesbeamtin. Seit ihrem ersten Besuch in Istanbul wollte sie sowieso irgendwann hier leben. Das war 1981. Damals arbeitete sie als Bibliothekarin und kaufte Bücher, um in Kreuzberg eine türkische Bibliothek aufzubauen. Bis heute liebt sie an Istanbul eines besonders: „Hier geht es nicht darum, wer wen integriert. Hier existieren unterschiedliche Lebensformen nebeneinander.“

„Hallo!“, ruft es vom anderen Gehweg. Eine Nachbarin, die türkische Schauspielerin Jale Arikan, kommt die Straße herauf. Sie spielt in deutschen Serien wie „Tatort“ mit, jetzt wohnt sie nur wenige Ecken von der Ex-Bürgermeisterin entfernt. Sie verabreden sich für den Galerieabend. „Beyoğlu ähnelt Kreuzberg“, findet Cornelia Reinauer. „Kreativszene, teure Läden, Subkultur. Eine gute Mischung.“ In knallgrünem Filzmantel und dreieckigen Ohrringen eilt sie in Richtung Bosporus. Ein bisschen Paradiesvogel, ein bisschen Politikerin. Sie ist spät dran für ihren Termin an der Mimar Sinan Universität. „Aber hier ist niemand pünktlich.“ Also trinkt sie noch einen Kaffee in einem Hafen-Café, das sie neulich auf einem Spaziergang entdeckt hat.

„Jetzt mache ich nur noch Arbeit, die mir Spaß macht“

Sie läuft gern durch die steilen Gassen von Istanbul. Am liebsten dorthin, wo sie auf den Bosporus schauen kann. In der Nähe ihrer Wohnung kennt sie alle Panorama-Restaurants. Die Vorliebe für Spaziergänge und den Blick aus der Höhe – vielleicht stammt sie noch aus ihrer alten Heimat. Cornelia Reinauer wuchs auf der Schwäbischen Alb auf. Die bewaldeten Hänge begannen direkt hinter dem Haus, die Familie ging oft wandern.

Als Bürgermeisterin blieb keine Zeit für lange Spaziergänge. Arbeitstage von 9 bis 23 Uhr, Wochenenden inklusive. „Jetzt mache ich nur noch Arbeit, die mir Spaß macht“, sagt sie und es klingt trotzig. Ihr Ehrenamt hält sie beschäftigt. 2008 hat sie den Verein Forum Berlin Istanbul mit gegründet, der Austauschprojekte fördert.

Als Netzwerkerin ist sie auch heute unterwegs. Als sie den Seminarraum der Mimar Sinan Universität erreicht, eine halbe Stunde zu spät, sitzt ein Dutzend Studenten plaudernd an einem Carré aus Tischen. Es sind künftige Stadtplaner, die Reinauer demnächst auf eine Exkursion nach Berlin begleiten wird. Sie sollen dort lernen, wie man behutsam saniert und wie man Bürger bei Planungen beteiligt. Zwei für Istanbul ungeheuerliche Dinge. Reinauer pendelt oft zwischen den Städten und fühlt sich in beiden zu Hause. Die Kreuzberger Wohnung hat sie behalten. Denn ihren Lebensabend will sie in Berlin verbringen. „Als alter Mensch alleine in Istanbul, das wäre schwierig. Schon wegen der steilen Gassen.“

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Barbara Bachmann <![CDATA[„Ich werde nie eine Deutsche sein“]]> http://www.reporterreisen.com/servus-bosporus/?p=1988 2013-07-20T07:06:15Z 2013-07-15T15:52:46Z Dem deutschen Staat, ihrem Staat, hat sie nie vertraut. Seit der NSU-Mordserie lebt Halime Bulut in Angst. Nun überlegt sie, in ihr Geburtsland zurückzukehren. Treffen mit einer, die sich in Istanbul umsieht.

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Halime Bulut: „Der Alltagsrassismus in Deutschland nimmt zu“ (Foto: Barbara Bachmann)

Halime Bulut: „Der Alltagsrassismus in Deutschland nimmt zu“
Foto: Barbara Bachmann

Zum Beispiel in der Geschichtsstunde im Gymnasium. Der Lehrer fragt die Schüler über das Osmanische Reich aus. Er schaut Halime an, kommt auf sie zu und sagt: „Als Türkin müsstest du das doch wissen.“ Da hat die Tochter türkischer Gastarbeiter schon weit mehr als die Hälfte ihres Lebens in Köln verbracht, hat hier Lesen und Schreiben gelernt, sich das erste Mal verliebt. Heute, mehr als 20 Jahre später, sagt die 40-Jährige: „Man kann nicht beides perfekt sein. Türkisch und deutsch. Das geht einfach nicht.“ Sie sagt es fast entschuldigend. Andere Sätze klingen anklagender: „Deutschland hat es nicht geschafft, dass ich mich deutsch fühle.“

Halime Bulut heißt eigentlich anders. Sie möchte ihren Namen nicht in einem Online-Magazin lesen, weil sie befürchtet, durch ihre Äußerungen zur Zielscheibe für Rechtsradikale zu werden. Seit der NSU-Mordserie lebt sie in Angst.

Halime ist vier, als sie mit den Eltern von Anatolien nach Köln zieht. Der Vater stellt in einer Fabrik Automotoren her, die Mutter ist Hausfrau. Vier jüngere Geschwister werden geboren, zwei Schwestern und zwei Brüder. Weil die Eltern kaum Deutsch sprechen, muss Halime sie bei Amtsbesuchen begleiten. Sie erlebt dort, wie launisch Beamte die Härte des Gesetzes walten lassen. Das Bild des hilflosen Papas, der gebückten Mama, prägen die kleine Halime.

Wenige Deutsche ebnen ihr den Weg. Eine ist die Grundschullehrerin. „Sie musste meine Eltern überreden, mich ans Gymnasium zu schicken, weil kein Kind unserer Bekannten dorthin ging.“ Sie lernt fleißig, bemüht sich. So als ob sie denken würde, „wenn du gut sein willst, musst du besser sein als die Deutschen.“ Sie schafft es an die Universität, studiert Betriebswirtschaftslehre, finanziert sich ihr Studium, in dem sie beim Steuerberater arbeitet. Halime fügt sich in das deutsche System ein, ihr Leben, sagt sie, ist trotzdem keine Erfolgsgeschichte.

„Erzählungen von zu Hause wurden immer beurteilt.“ Für das, was tausende Kilometer weit entfernt in der Türkei passiert, muss sich Halime in Deutschland rechtfertigen. Warum ist es für Brüder eine Ehre, ihre Schwester zu ermorden? Ihre beste Freundin ist Afghanin. Hatice verliebt sich in Türken und Iraner. Nie in einen Deutschen. „Es kam irgendwie nicht in Frage“, sagt sie heute. Als Halime die deutsche Staatsbürgerschaft erhält, feiert sie, anders als ihre Freundinnen, nicht. „Ist doch nur ein Papier.“ Auf den türkischen Pass verzichtet sie.

Der deutsche Staat, sagt Halime Bulut, schützt die rechtsradikalen Jugendlichen

Sie lernt ihren späteren Mann kennen, einen Istanbuler, der in Maastricht lebt. Mit ihm zieht sie an das Dreiländereck nach Vaals, findet Arbeit in Aachen. Mit 36 wird sie Mutter. Seither überlegt Halime: Soll meine Tochter so aufwachsen? „Sie wird niemals eine Deutsche sein. Sie hat keinen deutschen Namen und kein deutsches Aussehen, das wird man ihr immer bewusst machen.“ Halime glaubt, dass viele Deutsche ein Problem mit selbstbewussten Migranten haben. „Der Großteil möchte, dass wir untertänig wie unsere Eltern sind.“ Sich überlegen zu fühlen sei ein typisch deutsches Gefühl. Die Deutschen, sagt sie, entscheiden alles mit dem Kopf, auch die Liebe. Gibt es denn gar nichts Positives an ihnen? „Doch. Ich schätze ihre Ehrlichkeit, Verlässlichkeit.“ Vielleicht pauschalisiere sie auch. Sie gibt dem Leben in Deutschland die Schuld dafür. Ein ehemaliger Chef sagte einmal zu ihr: „Hättest du Kopftuch getragen, ich hätte dich nicht angestellt.“

Die NSU-Mordserie hat sie noch mehr ins Grübeln gebracht. „Der Alltagsrassismus nimmt zu.“ Dass die Deutschen ihre eigene Geschichte aufgearbeitet haben, hält sie für ein Märchen. „Der deutsche Staat deckt die Rechtsradikalen“, sagt sie. „Nach dem Motto: das sind unsere frechen Jungs, die sich austoben.“ Das Wort „unsere“ betont sie. Halime fühlt sich nicht sicher in Deutschland. Daher der Gedanke, in die Türkei zurückzukehren. „Aber kann ich mich hier wieder einleben?“ Da sei doch einiges deutsch an ihr, „der Perfektionismus, die Pünktlichkeit“. An die Nagelbombe, die der NSU in der Kölner Keupstraße legte, muss sie oft denken. „Viele Male war ich dort.“ Halime will nicht denken, zum Glück ist mir nichts passiert. „Wenn jemand umkommt, weil er Türke ist, bin ich auch davon betroffen.“

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Nicole Graaf <![CDATA[Die Kunst der alten Dinge]]> http://auf3th.de/servus-bosporus/?p=1288 2013-07-31T13:52:12Z 2013-07-15T15:15:23Z Der Künstler Y. Bahadir Yıldız verarbeitet Trödel, Reste und andere gebrauchte Gegenstände zu Bildern und Skulpturen. Er sammelt sie in Fabriken, auf Märkten oder in verlassenen Häusern. Die Materialien für seine aktuelle Ausstellung hat er unter anderem in Berlin und Köln gefunden.

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Die Kunst der alten Dinge – Ein Besuch bei dem Künstler Y.Bahadir Yıldız

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Marta Popowska <![CDATA[Warten auf die Abrissbagger]]> http://auf3th.de/servus-bosporus/?p=1400 2013-07-30T12:11:08Z 2013-07-15T15:14:54Z Ein Teil des Istanbuler Viertels Tarlabaşi soll modern und erdbebensicher werden. Die historischen Häuser und seine alteingesessenen Bewohner weichen. Sie werden sich keine der neuen Wohnungen leisten können und fürchten, dass Tarlabaşi nur der Anfang ist.

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Um einen Blick auf die Ruinen zu erhalten, muss man seine Kamera unter den Blechmauern durchstecken. Seit 2012 versteckt die Stadt das 20000 Quadratmeter große Areal.
Foto: Marta Popowska
Auch Musa Ataman musste seine Wohnung zwangsräumen und lebt nun ein paar Straßen weiter bei seinem Bruder.
Foto: Marta Popowska
Streift man durch die Straßen des restlichen Viertels, trifft man auf viele verfallene Häuser.
Foto: Marta Popowska
Viele Menschen können sich die Renovierung der oftmals historischen Häuser nicht leisten und lassen sie verfallen.
Foto: Marta Popowska
Doch es gibt viel buntes Leben im Viertel...
Foto: Marta Popowska
...und das spielt sich auch bei schlechtem Wetter auf der Straße ab.
Foto: Marta Popowska
An vielen Ecken zu beobachten: Eine Frau lässt einen Weidenkorb mit Geld aus dem zweiten Stock herunter, der Händler füllt ihn mit Brot und anderen Lebensmitteln.
Foto: Tobias Oellig
Neben den Müllsammlern verdienen sich viele ihren Lebensunterhalt mit Schuhe putzen. Izet Fidan kann seit einer schweren Krankheit keiner anderen Arbeit nachgehen.
Foto: Marta Popowska
Kaum eine Straße in der keine verfallenen Häuser neben bewohnten stehen.
Foto: Marta Popowska
Die engen Straßen werden nach und nach erneuert. Viele Anwohner fürchten, dass im restlichen Teil der Abriss kommt.
Foto: Marta Popowska
Nicht jeder ist gegen das Erneuerungsprojekt. Händler, wie Pehlivon Halit, freuen sich über mehr kaufstarke Kunden.
Foto: Marta Popowska
Aus Alt mach Neu: Eine Reparaturwerkstatt in Tarlabasi.
Foto: Marta Popowska
Durch das ganze Viertel verteilt hängen die Müllsäcke der Sammler an den Wänden der verfallenen Häusern.
Foto: Marta Popowska
Tarlabasis wertvolle Hanglage im Herzen des kulturellen Zentrums Istanbuls könnte schon bald mit Luxuswohnungen übersäht sein.
Foto: Marta Popowska
Doch noch hängen die berühmten Wäscheleinen vor den alten Häusern Tarlabasis.
Foto: Marta Popowska

Noch stehen die Ruinen im Istanbuler Viertel Tarlabaşi. Seit dem vergangenen Jahr versteckt die Stadt sie aus Sicherheitsgründen hinter meterhohen Blechmauern. Wer jetzt noch einen Blick erhaschen möchte, steckt seine Kamera unter dem Zaun durch und drückt ab. Der Anblick: eine Geisterstadt.

2007 wurde von der Istanbuler Stadtverwaltung das Stadterneuerungsprojekt Tarlabaşi beschlossen. Das heruntergekommene Viertel, das zum hippen Stadtteil Beyoğlu gehört und nur einen Katzensprung vom zentralen Taksim-Platz entfernt ist, soll modern und erdbebensicher werden. So lautet die offizielle Begründung. Ein 20.000 Quadratmeter großer Teil des Viertels und damit auch denkmalgeschützte Häuser aus dem 19. Jahrhundert werden dafür abgerissen und wieder neu aufgebaut. Die neuen Fassaden sollen dem historischen Abbild nachempfunden werden.

„Es ist wie ein Versuchsgebiet“

Nachdem die letzten Bewohner mehr oder minder freiwillig gegangen sind, wurde die Gegend zu gefährlich. Erst machten sich Drogendealer und Prostituierte breit, dann kamen die sogenannten Recycler und Trödler. Sie fingen an, die Türen, Fenster und Geländer rauszureißen. „Viele Häuser waren vorher schon in schlechtem Zustand, von da an stieg die Einsturzgefahr“, sagt die deutsche Journalistin Constanze Letsch, die in Istanbul lebt und für ihre Doktorarbeit seit 2008 in Tarlabaşi unterwegs ist.

„Es ist wie ein Versuchsgebiet mitten im Zentrum“, sagt Letsch. Geplant war, dass das Projekt 2010 abgeschlossen wird. „Warum nichts passiert, weiß irgendwie niemand.“ Und so siechen die Überreste vor sich hin und warten, dass sich ihnen jemand annimmt.

Gentrifizierungsopfer Ataman (Foto: Marta Popowska)

Mussa Ataman (54) ist Kurde. Er sitzt auf einem Hocker mitten auf einer Straße. Neben ihm seine Krücke. Er lebt bei seinem Bruder und dessen Familie unweit der Ruinen, die einst sein Zuhause waren. Ataman sieht müde aus, seine Kleidung ist abgetragen. Er wirkt, als säße er seit Jahren auf diesem Stuhl und warte. Er erzählt von Schikanen gegen Nachbarn, wie alten Frauen das Wasser abgestellt wurde und ähnliches. Ob sie protestieren? Nein, was sollten sie denn tun? Viele hier vertrauen auf Gott und nehmen es hin. Sie haben nie gelernt sich aufzulehnen. „In Tarlabaşi gab es sehr wenig Proteste“, sagt Letsch. Ein Aspekt ihrer Arbeit ist der Widerstand der Bewohner gegen das Projekt. Sie hatte erwartet, dass mehr passiert. „Gerade von den Kurden, aber nicht einmal die BDP, die kurdische Partei, hat sich interessiert.“

Niemand weiß, wie es weitergeht

Einst lebten vor allem Griechen und Armenier in Tarlabaşi. In den achtziger Jahren zogen dann Kurden her, viele schlugen sich als Tagelöhner, Müllsammler, Schuhputzer durch. Aber auch Roma, afrikanische Flüchtlinge, Illegale oder Transsexuelle, die jetzt ein paar Straßen weiter gezogen sind, leben hier. Am Abend sieht man sie und viele Prostituierte auf dem Tarlabaşi Boulevard. Gestalten der Nacht, die die mehrspurige Straße und künstliche Grenze zwischen dem angesagten Beyoğlu und dem armen Tarlabaşi, auf und ab laufen. Das Viertel hat seit jeher Menschen ein Obdach gegeben, für die es anderswo in der Stadt keinen Platz gibt.

Noch weiß keiner, ob in Tarlabaşi weiter abgerissen wird, „oder ob die Stadt hofft, dass mit den Neubauten eine Gentrifizierung im restlichen Teil des Viertels ganz von selbst einsetzt“, sagt Letsch. Mussa Ataman rechnet mit dem Abriss. Wo er danach hingeht? „Vermutlich werde ich gezwungen eine Sozialwohnung zu kaufen.“ Leisten kann er sie sich nicht.

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Tobias Oellig <![CDATA[Meine Großfamilie für einen Abend]]> http://auf3th.de/servus-bosporus/?p=1187 2013-08-31T05:23:03Z 2013-07-15T15:01:15Z Als Tourist und Reporter habe ich schon einiges über das Land gelernt. Aber jetzt wird richtig eingetaucht. Zu Gast in einer türkischen Familie will ich erkunden, wie sie zu Hause ihren Feierabend verbringt. Und ob man dort etwas anderes als Döner isst.

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Zusammen mit meiner Istanbuler Familie nach dem Abendessen (Foto: Gözde Arslan)

Zusammen mit meiner Istanbuler Familie nach dem Abendessen
Foto: Gözde Arslan

Das Gastgeschenk

Ich brauche ein Gastgeschenk. Blumen? Pralinen? Keine Ahnung. „Baklava“, rät man mir, „aber guter.“ Aha, Baklava. Das sind diese türkischen Gebäckbomben. Die beim Dönermann über Rotkraut und Zwiebeln in der Vitrine stehen. An die sich nie jemand rantraut. Kenne ich nicht, esse ich nicht. Haben bestimmt Döner-Aroma angenommen, wenn die den ganzen Tag da vorne herumstehen.

Viel besser als Graubrot mit Käse (Foto: Tobias Oellig)

Baklava ist wenig Blätterteig, von viel Sirup zusammengehalten. So süß, dass man Zahnschmerzen kriegt. Baklava ist wie orientalische Poesie: Ganz entzückend, aber auch zu happig für meinen Geschmack. In der Backstube werden sie handgemacht und frisch vom Blech verkauft. Mein Baklava-Bäcker schneidet präzise wie ein Hirnchirurg einen handtellergroßen Fladen aus dem Quadratmeter Zucker. Ein Stück gibt es gleich auf die Faust, erwartungsvoll guckt er mich an. „Betörend gut“, würde ich lügen, wenn ich besser Türkisch könnte. Mein verklebtes falsches Lächeln muss reichen.

Tiefgrün klebt mir das zähe Zeug auf dem Weg die Tüte voll. Sehe wenigstens ich passabel aus? Mit stinkigen Turnschuhen und Dreitagebart vertrete ich die Bundesrepublik. Ich klingle. Überstürzt drücke ich Gastgeberin Elif den Baklava in die Hand. Hoş geldiniz, herzlich willkommen!

Die Familie

Das Wohnzimmer sieht aus wie ein deutsches. Na klar, was hast du denn erwartet? Eine osmanische Jurte, davor ein Holzpflock, an dem eine Ziege angebunden ist? Zumindest hätte ich nichts dagegen gehabt: Fackeln flackern und Zelte flattern. Eine verschleierte Schönheit huscht in die Häuptlingsjurte, um meine Ankunft mitzuteilen… Aber Türken leben gar nicht in Jurten, erkenne ich. Stattdessen: Mietwohnung, Teppichboden, Sitzgruppe. Bekanntes Terrain.

Elifs Großfamilie empfängt mich herzlich. Elif kocht, die Nichten helfen. Der anderthalbjährige Ufuk ist der Star des Abends. Darüber bin ich froh, das lenkt von mir ab. Gerade robbt er mit rotem Luftballon und Opa auf allen Vieren über den dicken Teppich.

Das Essen

Dann gibt es endlich Essen. Statt Graubrot, Aufschnitt und Gürkchen etwas Warmes: Auberginen-Kebab-Spieße, Reis und Fladenbrot, Rotkohlsalat und Joghurtsuppe. Gigantisch gut. Sie essen also keinen Döner daheim.
Der Fernseher läuft. Meine Gastgeber gucken nur selten hin, das Flimmern ist ihr Lagerfeuer. Ich nehme mir noch einen von den leckeren Spießen, Elif kann fantastisch kochen. Sie wird schon verstehen, dass es mir schmeckt, wenn ich hier ordentlich zulange.

Erst gibt es Auberginen-Kebab-Spieße, dann meine Zukunft aus dem Kaffeesatz (Foto: Tobias Oellig)

Im TV läuft jetzt „Dila, die Hausherrin“, eine beliebte Serie: Dila schreit eine Frau an und packt sie am Hals. Huch! Ich kenne keine deutschen Soaps. Aber da würgt man sich doch nicht, oder? Egal. Hausherrin Elif kümmert sich jedenfalls von Herzen um mein Wohl.

Die Wahrsagerin

Zum Dessert serviert Elif den Baklava mit Mokka. Na gut, koste ich den Kleber halt noch mal, zusammen mit bitterstarkem Kaffee, der wie Sand im Mund liegt. „Die Süße des Baklava entfaltet sich kontrastierend zur Stärke des Mokka“, würde man wahrscheinlich in einem Reiseführer lesen. Zwischen meinen Gaumen entfaltet sich gar nichts mehr.

Zum Schluss liest Elifs Schwester jedem aus dem Kaffeesatz. Bei mir bleibt sie lange still, blickt in dem Tässchen bis auf den Grund meiner Seele. Das macht mich nervös. „Ich sehe Wege, ich sehe Geld. Und eine Reise. Aber du hast kleine Sorgen“, übersetzt man. Kleine Sorgen? Eigentlich bin ich völlig beglückt von soviel Herzlichkeit an diesem Abend. Keine Sorgen. Doch, stimmt. Die Baklavabomben liegen mir schwer wie kleine Kiesel im Magen.

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Friederike Mayer und Barbara Bachmann <![CDATA[Istanbul, die verbotene Stadt]]> http://auf3th.de/servus-bosporus/?p=1202 2013-07-31T13:45:12Z 2013-07-15T14:51:38Z Nie mehr wird Ayşe Eğilmez am Bosporus sitzen. Die Exiljournalistin darf nicht in ihre Heimat zurück. Erinnerungen an Istanbul.

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Im Studium politisierte sich Ayşe Eğilmez und begann zu schreiben

Seit acht Jahren lebt die Journalistin Ayşe Eğilmez im deutschen Exil. In der Türkei wurde sie wegen ihrer Texte im Gefängnis gefoltert. Kurze Zeit nach ihrer Freilassung stand erneut die Polizei vor der Tür; es war ihr 36. Geburtstag. Über Nacht verließ sie die Stadt, die sie zum Schreiben brachte: Istanbul. Eine Spurensuche nach den Orten ihrer Erinnerung.

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